Marienerscheinung

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Marienstatue in Lourdes

Bei Marienerscheinungen handelt es sich um Visionen, bei denen Zeugen berichten, dass ihnen Maria erschienen sei. Angebliche Marienerscheinungen sind für die gesamte christliche Ära bezeugt. Bereits Jakobus dem Älteren, einem der Jünger Jesu von Nazareth soll am 2. Januar des Jahres 40 nach Christus die Mutter Jesu als sogenannte Madonna del Pilar erschienen sein.

Die kirchliche Haltung gegenüber solchen Marienerscheinungen ist distanziert. Von hunderten von Erscheinungen, die sich im Verlauf der Jahrhunderte ereignet haben sollen, sind nur die wenigsten kirchlich anerkannt.

Inhaltsverzeichnis

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Das Phänomen an sich

Bis zum Ende des Spätmittelalters waren es überwiegend Männer und unter ihnen meist Kleriker, denen Maria erschien. Bereits im 11. Jahrhundert gab es jedoch in der Literatur bereits das Motiv der einfachen Frau, der ein besonderes religiöses Erlebnis in Form einer Vision zuteilwurde.[1] Im von der Aufklärung geprägten 18. Jahrhundert ging die Zahl der Marienerscheinungen zurück. Im 19. Jahrhundert nahm die Anzahl dagegen vor dem Hintergrund einer Erneuerung der katholischen Kirche und einer stärkeren Betonung einer gefühlsintensiven Frömmigkeit wieder zu. Im Zentrum der neuen Frömmigkeit stand dabei der Kult um die Jungfrau Maria.[2] Der Historiker David Blackbourn, der unter anderem die Marpinger Marienerscheinungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht hat, hat anhand einer Reihe kirchlich approbierter und nicht approbierter Erscheinungen aufgezeigt, dass den Sehern des 19. Jahrhunderts Merkmale wie ein Leben in Abhängigkeit, rohe Behandlung, frühe Trennung von der Familie oder Verlust eines Elternteils, ein Außenseitertum und in den überwiegenden Fällen bedrückende Armut gemeinsam sind.[3] Für viele der Seher bedeutete die Erscheinung daher emotionalen Halt und Trost.[4] Bereits die frommen Schilderungen der Marienerscheinungen des 19. Jahrhunderts haben immer hervorgehoben, dass es sich bei den Sehern der großen, kirchlich anerkannten Marienerscheinungen um Angehörige der ärmsten Schichten handelte. Auf Mélanie Calvat und Maximin Giraud, die Seher von La Salette, sowie Bernadette Soubirous, die Seherin von Lourdes trifft dies zu. Die Ordensfrau Cathérine Labouré, die aus kleinbürgerlichen und damit materiell etwas besser gestellten Verhältnissen kam, ist eine der wenigen Ausnahmen.

Die visionären Ereignisse, die den Sehern angeblich oder tatsächlich zuteilwurden, tangierten das Leben ihrer Mitmenschen zum Teil erheblich. Entsprechend schlug den Sehern häufig zunächst Ablehnung und Misstrauen entgegen. Dies galt in vielen Fällen auch für die Pfarrer, zu deren Gemeinde die Seher gehörten. Von Seiten ihrer Bischöfe waren Geistliche angehalten, eine kühle Distanz zu den Visionären zu halten, so lange die Erscheinung seitens der Kirche nicht untersucht und als glaubwürdig beurteilt war. Pfarrer, die in den Erscheinungen jedoch ein Zeichen der Gnade zu erkennen glaubten, hielten häufig die von ihren Oberen gewünschte Neutralität nicht ein und unterstützten stillschweigend ihre Seher. Ein hohes Maß an lokaler Akzeptanz fanden Seher dort, wo die zu erwartenden Wallfahrten Aussicht auf materiellen Gewinn versprachen. Häufig hatte die Anwesenheit vieler Wallfahrer aber auch unerwünschte Nebeneffekte. Insbesondere das Eingreifen der Behörden konnte zu einer Beeinträchtigung des lokalen Lebens führen. So drohten französische Behörden den Einwohnern von Lourdes, eine geplante Eisenbahnlinie um Lourdes herumzuführen, sofern die Stadt nicht wieder zu Sinnen käme.[5]

Das Phänomen der Marienerscheinung tritt meist im katholischen und orthodoxen Milieu auf; in vereinzelten Fällen auch bei angeblich Ungläubigen, die sich dann meist aufgrund dieser Erscheinung bekehrten. Die einzelnen Berichte von Marienerscheinungen sind vielfältig. Teils treten individuelle Erscheinungen auf, die sich häufig auch nicht wiederholen und/oder nicht weiter bekannt (gemacht) werden. Bekannter sind allerdings sich wiederholende bzw. sich wiederholt habende Marienerscheinungen, die, bei entsprechender Ankündigung, ein großes Publikum anziehen können (Fátima).

Auch die angebliche sinnliche Wahrnehmung einzelner Erscheinungen ist unterschiedlich: Zumeist können zumindest die Seher, also die Menschen, welche die erste Marienerscheinung hatten, sie sowohl sehen als auch hören. Auch andere Sinneswahrnehmungen, etwa ein häufiger Rosengeruch, sind bekannt. Ebenfalls können die vermittelten Botschaften unterschiedlichster Art sein und sowohl Prophezeiungen beinhalten als auch Zuspruch in individuellen Lebenskrisen.

Überliefert sind auch Fälle, in denen Erscheinungen der Maria angeblich vorausgesagt und deren darauffolgendes Auftreten von mehreren Personen bezeugt wurde. Es wird behauptet, dass das Ausbleiben solcher Voraussagen oder wiederholter Erscheinungen durch das Zweifeln der Seher oder durch Zweifeln oder ausgesprochene Verbote durch kirchliche Stellen verursacht werden können.[6]

An Orten mit Marienerscheinungen können sich Kirchen, Klöster und Wallfahrtsorte entwickeln.

Wertung und Beurteilung

Sie werden von vielen Gläubigen als Wunder gewertet. Andere wiederum lehnen diese Erscheinungen generell ab, entweder als unwichtig für die persönliche Glaubenserfahrung, als Scharlatanerie oder als Okkultismus. Von Wissenschaftlern werden diese Erscheinungen oft als Halluzination bewertet. Inzwischen verweisen jedoch in erster Linie Politik- und Sozialwissenschaftler immer wieder auf die spezifischen sozialen Funktionen von Marienerscheinungen im Kontext einer globalisierten Moderne. So sind diese zumeist Ursprung sozialer Bewegungen, die politischen und gesellschaftlichen Widerstand fundieren. In diesem Sinne weisen Erscheinungen stabilisierende Wirkungen auf emotionale Bindungskräfte innerhalb Gesellschaften auf.[7]

Wie alle Phänomene potentiell wunderbaren Ursprunges werden auch Marienerscheinungen von der Katholischen Kirche auf ihre Authentizität überprüft. Dazu haben sich drei Beurteilungsformeln etabliert:

  • constat de supernaturalite – Es steht fest, dass es sich um Übernatürliches handelt.
  • non constat de supernaturalite – Es steht nicht fest, ob es sich um Übernatürliches handelt.

Diese Beurteilungen werden üblicherweise nach eingehender Prüfung durch den Diözesanbischof erteilt, können aber auch anderen Instanzen übertragen werden. Berichte von Marienerscheinungen, auch solche, die von der Kirche als übernatürlich anerkannt sind, sind nicht Bestandteil der Lehre der katholischen Kirche. Jedem Katholiken bleibt deshalb freigestellt, an die Echtheit einer Marienerscheinung zu glauben oder nicht.

Einordnung

Weitere übernatürliche Phänomene (siehe auch: Religionsphänomenologie) im Leben der Kirche, neben Marienerscheinungen und Prophetie, sind:

Orte von Marienerscheinungen

Marienerscheinungen in der römisch-katholischen Welt

Am 24. Februar 1978 legte die vatikanische Glaubenskongregation Normen für die kirchliche Beurteilung von Marien- und sonstigen Erscheinungen sowie Privatoffenbarungen fest.[8]

Übernatürlichkeit anerkannt

Übernatürlichkeit seitens der Römisch-katholischen Kirche anerkannt: „Constat de supernaturalitate“. Es stehe fest, dass die Erscheinungen übernatürlich sind:

Übernatürlichkeit widerlegt oder zweifelhaft

Übernatürlichkeit von der römisch-katholischen Kirche nicht anerkannt: „Constat de non supernaturalitate“. Es stehe fest, dass die Erscheinungen nicht übernatürlich sind. Oder: „Non constat de supernaturalitate“, es stehe nicht fest, ob die Erscheinungen übernatürlich sind:

Sonstiges:

Marienerscheinungen außerhalb der katholischen Welt

Marienerscheinungen sind kein rein römisch-katholisches Phänomen. Es gibt sie auch im Einflussbereich der Orthodoxie sowie der Koptischen Kirche.

Konstantinopel:

  • Nach einer russischen Tradition hatte der slawische Asket Andreij, auch als „Narr in Gott“ bezeichnet, in der berühmten Blachernen-Kirche in Konstantinopel an einem 1. Oktober im 10. Jahrhundert während der Mitternachtsmesse eine Vision der Gottesmutter, die aus den Türen des Altarraumes hervortrat und unter Tränen lange betete. Auch der Diener Epiphanius will gesehen haben, wie sie schließlich ihr Schultertuch über das anwesende Volk ausbreitete. Der russische Fürst Andrej Bogoljubskij (+ 1174) übernahm die Legende, errichtete der „Schutzmantelmadonna“ (Pokrov) eine eigene Kirche und machte den 1. Oktober in ganz Russland zu ihrem Festtag.

Russland:

  • Kasan: Am 8. Juli 1579 soll die „Theotokos“ („Gottesgebärerin“, wie Maria in der Orthodoxie genannt wird) dem neunjährigen Mädchen Matrona in Kasan an der Wolga erschienen sein. Dem Bericht zufolgte offenbarte sie ihr das Versteck einer vor den muslimischen Tataren verborgenen wundertätigen Ikone. Das als „Kasanskaja“ bekannte Gnadenbild wurde zum Symbol Russlands, ihr zu Ehren wurden in Moskau und Sankt Petersburg Kathedralen errichtet.

Ukraine:

  • Potschajiw: Am 17. April 1198 erschien die „Theotokos“, der Gründungslegende des Basilianerklosters von Potschajiw zufolge, einer Gruppe von Mönchen, die vor der Invasion der Mongolen aus dem berühmten Höhlenkloster von Kiew (Petscherskaja Lavra) in die Höhlen nahe Ternopyl geflohen waren, „in einer Säule aus Feuer“. Dabei soll sie ihren Fußabdruck im Felsen hinterlassen haben. Wasser aus einer nahegelegenen Quelle werden seitdem Heilwirkungen zugeschrieben, ein Kloster an der Erscheinungsstätte wurde zum beliebten Wallfahrtsort.
  • Hruschiw: Am 25. April 1987 soll Maria der 11-jährigen Marina Kisyn über dem Glockenturm der seit 40 Jahren geschlossenen Dorfkirche erschienen sein. Diese war vor mehr als 100 Jahren wegen einer wundertätigen Marienikone und einem Brunnen mit angeblich heilendem Wasser schon einmal ein Wallfahrtsort gewesen. Als sich die Erscheinungen an den folgenden Tagen wiederholten, kamen trotz aller Sabotagen des damaligen kommunistischen Regimes bis zu 40.000 Pilger. Fast alle wollen ebenfalls die Erscheinung in orangerotem und blauem Licht gesehen haben.

Echtheit bestätigt seitens des koptischen und des katholischen Patriarchen

Ägypten:

  • Zeitoun/Kairo: Am 2. April 1968 und Wochen danach kam es allabendlich zu Erscheinungen einer „Frau in weißem Licht“, die von hunderttausenden koptischen Christen und Moslems über der Kuppel der koptischen Marienkirche von Zeitoun beobachtet wurden. Zeitoun ist nach der Legende der Ort, wo die Jungfrau Maria bei ihrer Flucht nach Ägypten unter einem Bergahorn ausruhte. Viele Wunderheilungen und Bekehrungen wurden berichtet. Am 4. Mai 1968 erklärte der koptische Patriarch Kyrillos VI. die Erscheinungen für glaubwürdig, der katholische Patriarch Stephanus I. pflichtete ihm bei.[12][13]

Echtheit bestätigt seitens des koptischen Patriarchen ]

  • Assiut: Am 17. August 2000 begann eine Reihe von Marienerscheinungen über der Markuskirche. Zahlreiche Zeugen wollen mysteriöse Lichter, Tauben aus Licht oder die leuchtende Gestalt der Gottesmutter gesehen haben, auch Fotos und Videos liegen vor. Der koptische Patriarch Shenouda III. erkannte die Echtheit der Erscheinungen an und bezeichnete sie als „Zeichen des Trostes“ für die christliche Minderheit in Ägypten. Bischof Mina Hanna, Vorsitzender des Rates der Kirchen von Assiut, sagte: „Dies ist ein Segen sowohl für Muslime als auch für Christen. Es ist ein Segen für Ägypten.“[14]