Stigmatisation

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Der hl. Franziskus von Assisi empfängt die Stigmata, 13. Jahrhundert

Stigmatisation (von griechisch στíγμα stigma ‚Stich‘, ‚Stigma‘, ‚Zeichen‘; lat. für ‚Brandmal‘) bezeichnet das Auftreten der Wundmale Christi am Körper eines lebenden Menschen. Die entsprechenden Wundmale werden als Stigmata (singular: Stigma), Menschen, bei denen Stigmatisation auftritt, als Stigmatisierte bezeichnet.

In der Antike bezeichnete man mit στíγμα ein Malzeichen, das auf die Stirn oder die Hand eingebrannt wurde.

Inhaltsverzeichnis

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Geschichte

Biblische Erwähnung

Bereits im Brief des Apostels Paulus an die Galater werden die Wundmale Christi erwähnt: „Ich trage die Zeichen (στíγμα) Jesu an meinem Leib.“ (Gal 6,17 EU), wobei allerdings die Deutung dieser „Zeichen“ unsicher ist und sie vermutlich nicht äußerlich sichtbar waren.

Träger der Wundmale Christi

Die stigmatisierte Tiroler Mystikerin Maria Domenica Lazzeri, zeitgenössisches Aquarell von 1846

Der erste anerkannte Fall von Stigmatisation ist der des hl. Franz von Assisi (1181/82–1226). Seine Stigmatisation soll sich am 17. September 1224 ereignet haben. Die erste Frau, die Stigmata erhielt, soll die selige Christina von Stommeln (1242–1312) gewesen sein, deren Reliquien heute in Jülich in der dortigen Propsteikirche aufbewahrt werden; am Schädel der Seligen sind Spuren einer Dornenkrone zu sehen.

In der Folgezeit gibt es vermehrt Berichte über Stigmatisationen. Die Zahl der bekannten Stigmatisierten schwankt je nach Autor zwischen 100 und über 330, da genaue Kriterien fehlen, was unter Stigmatisation zu verstehen ist (innere und äußere Stigmatisation). Die Anzahl der Träger mit den sichtbaren und spontan blutenden Wundmalen Christi dürfte 100 nicht überschreiten; der Arzt Franz Lothar Schleyer wies 1948 für eine medizinische Studie knapp 70 gesicherte Fälle nach.[1]

Zu den bekannten Stigmatiserten der neueren Zeit zählen die selige Anna Katharina Emmerick († 1824), Therese Neumann aus Konnersreuth († 1962), der am 16. Juni 2002 heiliggesprochene Pater Pio († 1968) und Marthe Robin († 1981). Bekannte zeitgenössische Stigmatisierte sind der italienische Ordensmann Bruder Elia (* 1962) und die griechisch-katholische Syrerin Myrna Nazzour (* 1964).

13 Stigmatisierte wurden von der römisch-katholischen Kirche heilig- und einige weitere seliggesprochen. Die katholische Kirche wertet eine Stigmatisation nicht automatisch als übernatürlich oder als Erweis von Heiligkeit. Bei Selig- und Heiligsprechungen wurden Stigmata entweder nicht oder nur am Rande erwähnt.

Einige der neuzeitlichen Stigmatisierten mussten sich mehrfach medizinischen Untersuchungen von weltlicher und kirchlicher Seite unterziehen, um eine Selbstbeibringung ihrer Wunden auszuschließen. Beispielsweise wird berichtet, Handwunden von Anna Katharina Emmerick seien fest verbunden und von einer Kommission Tag und Nacht beobachtet worden, ohne dass sich an ihren Blutungen etwas geändert habe. Louise Lateau (1850–1883) ist einer der am besten dokumentierten Stigmatisationsfälle; ihre Stigmata sollen an Freitagen geblutet haben. Rudolf Virchow, der allerdings das Angebot, sie persönlich zu untersuchen, ablehnte, hielt sie für eine Betrügerin. Die heilige Veronica Giuliani (1660–1727), die am Karfreitag 1697 an Händen, Füßen und Herzen stigmatisiert wurde, trug nur die Wundmale an den Händen und Füßen, nicht aber an der Seite. Bei der Sektion nach ihrem Tode durch zwei Ärzte in Gegenwart zahlreicher Zeugen fand man angeblich jedoch ihr Herz ganz durchstochen.

Erklärungsversuche

Fresko der Stigmatisation des hl. Franz von Assisi in St. Katharinen in Lübeck

Die Mehrzahl der Mediziner wie auch Theologen geht von einer überwiegend natürlichen, psychogenen Ursache der Stigmatisation aus. Andererseits gelang es dem ehemaligen Zauberkünstler und Privatdetektiv Joe Nickell nicht, auch nur einen einzigen Fall zu finden, in dem das Einsetzen von Blutungen beobachtet werden konnte. Psychosomatische Phänomene wie Autosuggestion, Ideoplastie oder Hysterie verbunden mit einer starken Passionsfrömmigkeit könnten ebenso wie bewusste oder unbewusste Manipulation die Ursache für eine Stigmatisation sein. So kommt auch eine aus der Psychiatrischen Klinik der Universität München stammende aktuelle Interpretation eines Untersuchungsberichtes aus dem Jahre 1927 über Therese Neumann zu dem Ergebnis, dass die Stigmata im Rahmen einer psychosomatischen Symptombildung auf dem Hintergrund intensiver religiöser Phantasien spontan, d. h. ohne Manipulation, entstanden sind.[2] Untersuchungen zeigten, dass durch Hypnose immer wiederkehrende Unterhautblutungen entstehen und nicht heilende Wunden wieder verschwinden können. Die Stigmatisation ist anscheinend verwandt mit dem Blutschwitzen und Blutweinen, bei denen eine natürliche Ursache gesichert scheint. Bei diesen Phänomenen treten allerdings keine offenen Wunden auf, sondern das Blut tritt direkt über die unverletzte Haut aus, so wie es auch bei einigen Stigmatisierten von Blutungen der Stirn- und Kopfhaut berichtet wird.

Umstritten sind allerdings die genauen psychischen Mechanismen und ob sich alle Formen der Stigmatisation dadurch erklären lassen. Beispielsweise wird behauptet, dass offene Wunden über viele Jahre hinweg (bei Pater Pio sogar 50 Jahre) nicht heilen, sich aber auch nicht entzünden oder eitern und dies medizinisch nicht erklärt werden könne. Aus der medizinischen Anwendung von Dauerkathetern ist bekannt, dass die Infektionsanfälligkeit bei dauerhaften, tiefen Verletzungen der Haut von Patient zu Patient sehr unterschiedlich ist. Es gibt Fälle, bei denen über Jahre oder Jahrzehnte hinweg keinerlei entzündliche Veränderungen auftreten. Für einen Blutfluss entgegengesetzt zur Schwerkraft, wie es z. B. bei Anna Katharina Emmerick berichtet wird, sowie ähnliche paranormale Phänomene fehlen objektive Beweise.

Handstigmata sind in der Regel auf der Handinnenseite oder dem Handrücken zu sehen. Es gilt heute jedoch als wahrscheinlich, dass bei Kreuzigungen der Nagel in der Nähe der Handwurzel zwischen Elle und Speiche des Unterarms eingeschlagen wurde. Interessant hierbei ist, dass die Wunden bei Stigmatisierten generell so auftreten, wie diese in diesem Kulturkreis bekannt sind. Zeigt ein Kulturkreis also Stigmata am Handrücken, dann haben die Personen dort Wunden am Handrücken. Werden hingegen Wunden an den Gelenken dargestellt, treten sie dort auf. Es scheint also einen Zusammenhang mit der Darstellung zu geben. Dies lässt zusammen mit der obigen Erkenntnis, dass die Nägel nicht an den üblich gezeigten Stellen eingeschlagen wurden, vermuten, dass eine Stigmatisation im Regelfall durch die psychischen Kräfte der Person selbst hervorgerufen werden und sich damit laut der Vorstellung der Person manifestiert.