Wunder

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Als Wunder (griechisch θαῦμα thauma) gilt umgangssprachlich ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich nicht erklären kann, so dass es Verwunderung und Erstaunen auslöst. Es bezeichnet demnach allgemein etwas „Erstaunliches“ und „Außergewöhnliches“ (griech. thaumasion).

Im engeren Sinn versteht man darunter ein Ereignis in Raum und Zeit, das menschlicher Vernunft und Erfahrung und den Gesetzlichkeiten von Natur und Geschichte scheinbar oder wirklich widerspricht. Dabei ist zu beachten, dass die heutige Vorstellung von einem Wunder als „übernatürlich“ erst in der Neuzeit entstand; sie setzt Wissen um die Existenz von Naturgesetzen voraus. Für die Menschen in Antike und Mittelalter hingegen, für die bereits Phänomene wie Blitz und Donner unerklärlich waren und die einer scheinbar ungeordneten, regellosen Umwelt gegenüberstanden, war die Grenze zwischen „Möglichem“ und „Unmöglichem“ weitaus durchlässiger.

Ob ein Ereignis oder eine Sache wunderhafte Züge trägt, ist grundsätzlich der Meinung des Betrachters überlassen. In bestimmten Situationen glauben Augen- und Ohrenzeugen, sie hätten etwas Unfassbares erlebt oder gesehen. Oft werden die Wunderberichte weiter erzählt, um eine ganz bestimmte Sicht der Dinge bei anderen Menschen zu bewirken. Während religiöse Menschen die Möglichkeit von Wundern meist bejahen, wird sie von areligiösen Menschen meist grundsätzlich verneint.

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Der Begriff

Der Begriff des vom Sich-Wundern abgeleiteten Wunders stammt aus der vom Hellenismus geprägten Antike. Er bezog sich vor allem auf erstaunliche Beobachtungen in der Natur. Unerwartete, dem Augenschein widersprechende Ereignisse wurden auch als Paradoxe bezeichnet. Der Paradoxograf Phlegon von Tralles sammelte im 2. Jahrhundert alle möglichen ungewöhnlichen Erscheinungen, besonders bezogen auf Menschen: von der Missgeburt über die Geschlechtsumwandlung bis zur vorübergehenden Belebung eines Toten.

Im Lateinischen wurde der Begriff Mirakel (miraculum: „Wunderding“) verwendet, der sich auf sensationelle, ein Publikum unterhaltende Dinge bezog, vor allem auf außergewöhnliche menschliche Leistungen. Die größten vom Menschen geschaffenen Mirakel wurden seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. als die sieben Weltwunder vorgestellt.

Die etymologische, also vom Wortstamm des Begriffes ausgehende Deutung des Wortes Wunder: Althochdeutsch „wuntar“ gehört vielleicht zu indogermanisch „uen“ („verlangen“). „Wunder“ wäre dann verwandt mit „Wunsch“.[1]

Noch genauer kann unterschieden werden: Vor der allgemeinen Anerkennung der Naturgesetze im Zuge der Aufklärung galt als Wunder, wenn ein Wesen (Menschen, Feen, Götter usw.) etwas vollbringt, was nicht in seine Zuständigkeit fällt. Nach der Aufklärung gilt als Wunder eine (scheinbare) Durchbrechung der Naturgesetze.

Überblick

In einer von Magie und Mythologie geprägten Weltsicht, wie sie besonders für Naturreligionen und Volksfrömmigkeit typisch ist, umfassen Wunder all diejenigen Ereignisse, die dem Eingreifen einer Gottheit oder metaphysischen Kraft zugeschrieben werden.

Die philosophische Metaphysik und die Theologie - besonders in der vom Christentum geprägten Geschichte Europas - sehen hinter solchen Ereignissen unter Umständen eine unbekannte und unsichtbare Ursache „höherer Ordnung", die auf das Wirken einer nicht den Naturgesetzen unterworfenen Macht verweist. Jedoch unterscheidet die Theologie selbst verschiedene Wunderbegriffe: Sie bezeichnet isolierte, punktuelle - tatsächliche oder scheinbare - Ausnahmen vom Kausalgesetz oft als „Mirakel“, im Unterschied zu einem Wunder, in dem Gott zur Sprache kommt. Der Glaube an Mirakel und der Glaube an Gott sind für die meisten Theologen seit Reformation und Aufklärung zweierlei.

Der von einem geschlossenen, nur naturwissenschaftlich begründbaren Weltbild ausgehende Rationalismus und der nur von überprüfbarer Erfahrung ausgehende Empirismus bestreiten die Möglichkeit von Wundern grundsätzlich. Agnostizismus und Skeptizismus bestreiten die Erkennbarkeit „höherer“ Ursachen, so dass sie Wundern und Wunderglauben keinerlei Relevanz für das Leben im Diesseits zubilligen. Der weltanschauliche Atheismus bekämpft den Wunderglauben als dem wahren Menschsein unangemessenen Aberglauben.

Der Theismus rechnet grundsätzlich mit der Möglichkeit von Wundern. Der Pantheismus setzt das Welt- und Naturgeschehen mit dem Wirken Gottes unmittelbar in eins, so dass das Dasein der Welt selbst als Wunder erscheint.

In allen Religionen gibt es Gruppen und Strömungen, für die das Außergewöhnliche, Spektakuläre und Sensationelle sowie die gefühlsmäßige Ergriffenheit im Vordergrund ihres Glaubens stehen. Diese Abwehr rationaler Überlegungen lässt die Wahrheitsfrage ungelöst.

Sowohl für wundergläubige wie wunderskeptische Menschen führt der Versuch, von Wundern auf Gott zu schließen, in einen unausweichlichen logischen Widerspruch: Wenn das Ereignis vom Menschen herbeigeführt und überprüft werden kann, dann ist es prinzipiell bereits aus einer natürlichen Gesetzmäßigkeit erklärbar und kann nicht mehr im alleinigen Macht- und Willensbereich Gottes liegen. Wenn es sich nicht experimentell reproduzieren und provozieren lässt, muss offen bleiben, was es verursacht hat und ob es sich um ein „echtes“ Wunder handelt. „Zufällige“ Messungen eines nicht naturwissenschaftlich erklärbaren Vorgangs können nicht von einem misslungenen Experiment oder Messfehlern unterschieden werden, sind also wissenschaftlich nicht verwertbar.

Dies verweist darauf, dass die Annahme einer „höheren“ Ordnung sich nicht aus isolierten unerklärbaren Ereignissen, die untereinander keinen erkennbaren Zusammenhang aufweisen, begründen lässt. Es bleiben lediglich Zeugenaussagen von Menschen, die je nach Hintergrund und Persönlichkeit mehr oder weniger glaubwürdig sind und entsprechend gewertet werden können. Bei einer Bewertung dieser Glaubwürdigkeit spielt wiederum die grundsätzliche Einstellung des Bewertenden gegenüber der Möglichkeit von Wundern eine entscheidende Rolle.

In einer naturalistisch reflektierten Sicht auf die Welt sind Wunderberichte der Ausdruck für die ungeprüfte Annahme, es mit einer punktuellen Durchbrechung von Naturgesetzen und des Kausalzusammenhangs im Geschichtslauf zu tun zu haben. Für solche Ereignisse prägt die Philosophie auch den Begriff der Kontingenz und räumt damit die prinzipielle Möglichkeit von naturwissenschaftlich (noch) unerklärbaren Ereignissen ein.

Humanbiologischer Aspekt

Forschungen von Andrew Newberg zeigen, dass eine Region des Gehirns vermutlich (auch) für Glaubenserfahrungen zuständig ist.

Wunder in der außerchristlichen Antike

Die Tradition des Antiken Griechenlands enthält unter anderem Berichte über Wunder, die von Herakles begangen sein sollen. Sie wurden von der altgriechischen Theologie als Hinweis für die Göttlichkeit Herakles gelesen und wurden von europäischen Kulturen zum Anlass genommen, Herakles zu verehren. Unter seinen zahlreichen wunderbaren Handlungen sind die zwölf Arbeiten des Herakles, die ihm von König Eurystheus auferlegt wurden und die übermenschliche Kämpfe und eigentlich unmögliche Arbeiten beinhalteten.

Aristeas von Prokonnesos soll laut Herodot gestorben und wieder auferstanden sein.[2]

Der Philosoph Apollonios von Tyana soll geboren worden sein, indem seine Mutter beim Blumenpflücken von einem Blitz getroffen wurde.[3] Später soll er selbst Wunder vollbracht haben: unter anderem soll er ein verstorbenes Mädchen wieder zum Leben erweckt haben.[4]

Die Historiker Tacitus und Sueton berichten von einem Heilungswunder, das der Kaiser Vespasian bewirkt habe.[5] Die Erzählung hat die gleiche Struktur wie die Heilungswunder, die man im Neuen Testament findet. Als Sinn des Wunders wird von Sueton selbst angegeben, dass damit Vespasians Majestät von Gott bestätigt werde.

Wunder im Christentum

Wunder im Neuen Testament

Hauptartikel: Wunder Jesu

Das Neue Testament enthält verschiedene Berichte über Wunder, die Jesus von Nazaret vollbracht haben soll, die ihm zugetraut wurden oder an ihm geschehen sein sollen.[6] Diese werden in der christlichen Theologie als Zeichen für den Heilswillen und das Heilshandeln JHWHs, des Gottes Israels, interpretiert.

Das wunderbare Handeln Jesu wird

  • als Verkündigung dieses Gottes (Mk 2,12; Lk 7,16),
  • als Zeichen für Jesu Vollmacht, im Auftrag dieses Gottes zu handeln (Mk 2,10),
  • als Erfüllung seiner Verheißungen (Mt 11,5),
  • als Realisierung des Reiches Gottes (Lk 11,20),
  • als Zeichen für Jesu besonderes, einzigartiges Verhältnis zu diesem Gott, ausgedrückt etwa im Bekenntnis Du bist der Christus! (Mk 8,29)

verstanden.

Krankenheilungen, Austreibungen unreiner (böser) Geister und andere Wunder, zu denen Jesus seine Nachfolger beauftragt (Mk 6,7; 16,17) und die diese in seiner Nachfolge vollbracht haben sollen, gehören aus Sicht der Urchristen zu den Gaben des Heiligen Geistes (Charismen). Für ihre Gegner waren es teilweise Zeichen für einen Bund mit dem Teufel (Mk 3,22). Ein Gegenmodell zum göttlich begabten Menschen war damals der Magier. Er wurde besonders im Judentum oft negativ als Scharlatan und Betrüger bewertet, der mit Satan im Bund stehe: Diese Sicht vertreten in den Evangelien bereits früh Jesu Gegner (Mk 3,22 EU; Mt 27,63 EU; Joh 7,12 EU; 8,48 EUu.a.).[7] Sie hat sich im Jesusbild des Talmud niedergeschlagen, der ihn gerade wegen seiner Wundertaten, die er als Tatsache voraussetzt, als Volksverführer zum Götzendienst (Dtn 13,2-6 EU

 
) betrachtet. Für Paulus von Tarsus waren wunderbare Fähigkeiten nur dann wertvoll, wenn sie der Überwindung von Feindschaft und dem gemeinsamen Aufbau der christlichen Gemeinde dienten, die er als Leib Christi verstand (Röm 12,3-21).

Theologische Sichtweisen

  • Die spätantike und mittelalterliche christliche Theologie sah biblische Wunder oft als direkte, historische Fakten, die Gottes Eingreifen, seine oder Jesu Größe und Macht beweisen sollten. Die katholische Apologetik vertrat diese Sichtweise bis in die Neuzeit und betrachtete die Wunder als Indiz für die Wahrheit des Glaubens. Dies ist in der heutigen Fundamentaltheologie allerdings umstritten.
  • Die reformatorische Theologie sah die endgültig geschehene Vergebung durch Kreuz und Auferweckung Jesu Christi als das eigentliche Wunder, das allen übrigen Wundern Ziel und Sinn gibt.
  • Die neuzeitliche liberale Theologie interpretiert biblische Wunder auch im übertragenen Sinne: z. B. jemandem die Augen und Ohren öffnen, weil er blind und taub war gegenüber der Rede Jesu vom Reich Gottes, das zum eigentlichen Menschsein und Gottvertrauen befreie. In diesem Sinne werden Wunder gattungsgeschichtlich als eine Form betrachtet, mit der eine Botschaft des Glaubens oder Vertrauens Kerygma vermittelt werden soll. Dieser Ansatz wird am schärfsten von Klaus Berger kritisiert, da in einer neutestamentlichen, an antiken Wahrnehmungen orientierten Formgeschichte eine derartige Gattung keinen Platz habe. Es gehe vielmehr um eine andere Wahrnehmung der Wirklichkeit (Mystik, Spiritualität), die unserer durch die Aufklärung geprägten Kultur allerdings fremd geworden sei.
  • Rudolf Bultmann ging von dem naturwissenschaftlich geprägten Weltbild der Neuzeit aus, das er mit dem mythischen Weltbild der Antike für unvereinbar hielt. Er sah das eigentliche Ärgernis der christlichen Botschaft im unbedingten Entscheidungsruf zu einem neuen Selbstverständnis, das nicht mehr am Weltlichen hafte. Um diesen Kern freizulegen, vertrat er das Programm einer „Entmythologisierung“ des Neuen Testaments. Bekannt wurde sein Ausspruch: „Man kann nicht elektrisches Licht benutzen, moderne medizinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben.“[8]
  • Der Holländische Katechismus formuliert: „Das Wunder bringt dem Menschen zum Bewußtsein, daß er nicht weiß, was in ihm und in der Welt alles geschehn kann.“[9]
  • Der Katechismus der Katholischen Kirche von 2005 erwähnt Wunder nur noch im Zusammenhang mit den Wundern Jesu im Neuen Testament.[10]

Wunder in Heiligenlegenden

Eine relativ große Zahl von meist lateinischen Schriftzeugnissen, die aus dem Mittelalter erhalten sind, berichten von Wundern, insbesondere von Krankenheilungen durch die Vermittlung von Heiligen. Diese sogenannten „Mirakelberichte“ finden sich als Versatzstücke von Heiligenlegenden, etwa in Viten heiliger Bischöfe. Oft dienten sie auch der „Kultpropaganda“, also der „touristischen“ Werbung, um Pilgerströme in Richtung der Begräbnisorte angeblich besonders heilungskompetenter Heiliger zu lenken.

Unter Historikern galten solche Quellen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als wertlos - Grund waren antikatholische, nationalistische oder einfach auf rein politische Historie fixierte Forschungsansätze. Seit den 80er Jahren aber hat die Historiographie Mirakelberichte als wichtige Quellen für die Alltags- und Mentalitätsgeschichte entdeckt. Da heilungssuchende Pilger in diesen Texten zum unverzichtbaren Personal gehören, liefern die Berichte ungewollt und en passant Daten über Arbeits- und Lebensbedingungen, Krankheiten oder Ernährungsgewohnheiten jener unteren Volksschichten, die ansonsten im Schriftgut jener Zeiten nicht vorkommen.

Wunder in der Neuzeit

Römisch-katholische Kirche

Siehe auch

 Wikiquote: Wunder – Zitate